Planspiel als Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Praxis

17. Februar 2016 / Moritz von Gliszczynski

Eine der wichtigsten Aufgaben des Forschungsprojektes "Gelingende Kooperationen im Sozialraum" ist es, einmal erlangte Ergebnisse auch an die Praxis der Quartiersarbeit weiterzugeben und zur weiteren Professionalisierung dieses Arbeitsfeldes beizutragen. Zur Weitervermittlung der Forschungsergebnisse werden natürlich gängige Methoden wie Vorträge, Workshops und schriftliche Veröffentlichungen genutzt. Allerdings fiel frühzeitig die Entscheidung sich nicht allein auf diese üblichen Methoden der Vermittlung zu verlassen - denn Vorträge, Workshops und ähnliche Formen der Wissensvermittlung laufen schnell Gefahr, zum "Frontalunterricht" zu verkommen, dessen Inhalte zwar konsumiert werden, aber in der Praxis letztendlich nicht ankommen. Um das zu verhindern, ist es notwendig, zusätzliche Methoden der Wissensvermittlung zu finden, bei denen die Teilnehmer aktiviert werden und selbst dazu kommen Forschungsergebnisse auszuprobieren und umzusetzen.

Ein erster Schritt in diese Richtung wurde bei "Gelingende Kooperationen" durch den Entwurf und die Durchführung eines Planspiels zu Kooperation und Netzwerken unternommen. Warum aber ein Planspiel? Es ließe sich provokativ fragen, warum hier bei einem so komplexen, professionell anspruchsvollem Thema wie Kooperation auf Quartiers-Ebene eine didaktische Methode angewandt wird, die ansonsten eher aus dem Schulunterricht und der Jugendarbeit bekannt ist. Tatsächlich finden Planspiele dort oft Anwendung um jungen Menschen durch das spielerische Erschließen eines Modells bspw. grundlegende Regeln des Zusammenlebens in einer Demokratie näher zu bringen. In dieser Variante des Planspiels spielen alle Teilnehmer verschiedene Rollen im gleichen Szenario und treten miteinander in Verhandlungen. Es ließe sich berechtigt in Frage stellen, ob die Zielgruppe der Ergebnisse von "Gelingende Kooperationen" - professionelle Sozialarbeiter, Stadtplaner usw. - eine so grundlegende und verspielte Form der Wissensvermittlung überhaupt benötigen. Planspiele finden aber ebenso in der Ausbildung von Führungskräften in der freien Wirtschaft Anwendung: In dieser Variante des Planspiels spielen die Teilnehmer meist parallel die gleiche Rolle - gängigerweise die einer Firma die Profit erwirtschaften soll - und vergleichen anschließend ihre Ergebnisse und Vorgehensweisen. Das Ziel ist dabei das Lernen oder verbessern von Strategien des professionellen Handelns - und entspricht damit genau den Zielen, die von "Gelingende Kooperationen" im Bezug auf Quartiersarbeit verfolgt werden.

Dem entsprechend wurde für "Gelingende Kooperationen" ein Planspiel, also ein zu spielendes Szenario mit entsprechenden Spielregeln, entworfen, das die Teilnehmer zur Reflexion ihrer professionellen Strategien im Bezug auf Netzwerke und Kooperation anregen soll. Im Hinblick auf aktuelle Herausforderungen wurde das Szenario inhaltlich so gestaltet, dass die Spieler die Rolle eines neu eingerichteten Stadtteilbüros in einem fiktiven benachteiligten Quartier übernehmen, das sich gerade durch starken Zuzug von Flüchtlingen verändert. Aufgabe der Spieler ist es, als Stadtteilbüro Konflikte vor Ort zu schlichten und den sozialen Zusammenhalt zu stärken. Dabei wird der zweiten oben genannten Variante des Planspiels insofern gefolgt, dass mehrere Gruppen parallel die Rolle des Stadtteilbüros in getrennten aber inhaltlich gleichen Szenarien spielen, während die Rollen anderer Akteure im Quartier bei Bedarf von einem Team aus Spielleitern übernommen werden. Das Szenario ist auf Grundlage der Ergebnisse von "Gelingende Kooperationen" so gestaltet, dass die Spieler zur Schaffung neuer Netzwerke und zur Zusammenarbeit mit anderen Akteuren angeregt werden. Nach dem Spiel kommen die Spieler wieder zusammen um ihre jeweiligen Vorgehensweisen zu vergleichen. Abschließend werden diese Vorgehensweisen mit Ergebnissen und praktischen Ratschlägen zu Kooperation verglichen, die durch "Gelingende Kooperationen" entwickelt werden. Grundgedanke des Spiels ist, die Teilnehmer durch den Eintritt in ein zugespitztes fiktives Modell in Orientierung an tatsächlich existierenden praktischen Herausforderungen zu neuem und kreativen Nachdenken über die eigenen professionellen Strategien zu bringen und zu zeigen welchen nutzen wissenschaftlich fundierte Ratschläge in der Praxis haben.

Erstmals umgesetzt wurde dieses Planspiel am 04.02.2016 im Rahmen des regelmäßigen Arbeitskreises Gemeinwesenarbeit bei der LAG Soziale Brennpunkte in Hannover, unter dem Titel "Starke Zuwanderung in mein Quartier - Was tun?". Siebenundzwanzig Teilnehmer aus der praktischen Quartiersarbeit waren dazu eingeladen, insgesamt drei Runden von jeweils 30 Minuten Dauer zu spielen und ihre Vorgehensweisen im Anschluss mit Bezug auf die Ergebnisse von "Gelingende Kooperationen" zu diskutieren. Neben der Vermittlung der Forschungsergebnisse war es auch Ziel der Veranstaltung, zu testen in wie weit das Planspiel tatsächlich geeignet ist, eine Diskussion zu Strategien des Netzwerkens und der Zusammenarbeit in der Praxis anzuregen.

Insgesamt kann dieser erste Testlauf des Planspiels als Erfolg bezeichnet werden.Sowohl innerhalb der vier Gruppen von Teilnehmern als auch zwischen den Gruppen kam es auf Grundlage des Spiels zu einer vielseitigen und produktiven Diskussion über die Strategien, die in der Praxis genutzt werden um sich einen Überblick über Netzwerke auf Quartiers-Ebene zu schaffen und mit diesen Netzwerken in Verbindung zu treten. Dabei taten sich interessante parallelen und Kontraste zu Methoden der visuellen Bestandsaufnahme von Netzwerken auf, die als erstes Ergebnis von "Gelingende Kooperationen" präsentiert wurden. Aus Rückmeldungen der Teilnehmer lässt sich entnehmen, dass das Planspiel seinen Zweck als Raum zur Reflexion außerhalb des Arbeitsalltages zu guten Teilen erfüllen konnte und es ermöglichte die eigene Arbeit aus neuer Perspektive zu betrachten - viele Teilnehmer bestätigen, dass sie neue Ansätze für die eigene Praxis von der Veranstaltung mitnehmen. Insofern ist die Vermittlung wissenschaftlicher Ergebnisse in die Praxis durch das Planspiel also gelungen.

Dennoch gibt es natürlich noch Raum für Verbesserung. Viele Teilnehmer wünschten sich klarere Vorgaben über die Ziele, Aufgaben und Möglichkeiten im Spiel. Im Zusammenhang damit wurde der Wunsch nach klaren, wissenschaftlich fundierten Ergebnissen und Methoden der Kooperation geäußert, die in der Praxis anwendbar sind. Daraus ist zu schließen, dass bei Wiederholungen des Planspiels früher und deutlicher wissenschaftliche Ergebnisse eingebracht werden sollten, um den Ablauf stärker zu strukturieren. Ein weiteres überraschendes Ergebnis des Planspiels war, dass viele Teilnehmer den Wunsch äußerten, das Szenario in der oben zuerst genannten Variante des Spiels zu spielen, also so, dass die Teilnehmer verschiedene Rollen im gleichen Modell einnehmen und dann miteinander verhandeln. Das entspringt dem Interesse daran, auch mal in eine andere Rolle als die des Stadtteilbüros zu schlüpfen und die eigene Arbeit aus der Perspektive einer Rolle zu betrachten, die man im Alltag nicht einnimmt (bspw. die des Bürgermeisters). Das für das Planspiel entworfene Szenario ist problemlos auch für diese Spielvariante anwendbar - ein weiterer Testlauf wird angestrebt.

Schlussendlich hat sich das Planspiel als Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Praxis also bewährt und wird im Rahmen von "Gelingende Kooperationen" als Form der Wissensvermittlung weiterentwickelt. Der erste Testlauf hat deutlich gezeigt, welchen Nutzen kreative und aktivierende Methoden wie Planspiele bei der Vermittlung von wissenschaftlichem Wissen haben können. Der vielfach geäußerte Wunsch nach klaren Ergebnissen und praktisch anwendbaren Strategien zeigt aber ebenso, dass parallel zum Planspiel auch klassische Formen der Wissensvermittlung wie Seminare oder Workshops entwickelt werden müssen - dazu an dieser Stelle in naher Zukunft mehr.