Handout von Mona Qaiser - Dialog statt Diskussion

Arbeitskreis Gemeinwesenarbeit, am 30.05.2017, in Hannover

Workshop: „Dialog statt Diskussion“

 

HANDOUT

Einführung: Umgang mit sensiblen Themen in organisationalen Strukturen

  • Fokus: Wir beleuchteten im Workshop drei zentrale Ebenen, in denen sich die Teilnehmenden mit ihren Herausforderungen bewegen:
  1. strukturell (soziale Arbeit, gebunden an Träger, öffentliche Stellen, u.ä. ),
  2. individuell (eigene Überzeugungen, eigene Emotionen) und
  3. fachlich (Verantwortung/ Rolle im Quartier).

Übung: Positionslinie im Dialog

  • Ablauf: Zu folgenden Thesen wurde aufgerufen sich entlang einer Positionslinie mit „ja“ oder „nein“ zu positionieren:
  1. Mindestlohn sollte wieder abgeschafft werden. (Zusammenhang: Einführung von Mindestlohn habe einige Kleinunternehmer Personal/ den Betrieb gekostet)
  2. In Deutschland sollte es niemals eine Obergrenze für die Aufnahme von Geflüchteten geben. (Zusammenhang: Flüchtlingsströme seit 2015)
  3. Satire darf alles. (Zusammenhang: Charlie Hebdo, Muhammad-Karikaturen)
  4. Inhalte politischer Diskussionen, die nicht meinem demokratischen Verständnis entsprechen, haben in meinem Projekt nichts zu suchen. (Zusammenhang: eigene konkrete Arbeit im Quartier)

 

  • Ziel: Einzelne Entscheidungen zur Positionierung werden bei der dialogischen Positionslinie über Biografie, Assoziationen und Emotionen der Teilnehmenden mit der Gruppe geteilt und hergeleitet. Es wird sich einem gemeinsamen Verständnis genähert. Positionen werden durch Perspektivwechsel aufgebrochen und neu interpretiert. Dabei können eigene Positionierungen fortbestehen oder im Prozess des Dialogs verändert werden. Es entsteht ein Wechselspiel von Nähe und Distanz zu eigenen Gefühlen, Überzeugungen sowie zu den anderen Gruppenmitgliedern.

 

  • Hinweise: Die Rolle der Moderation ist ein wesentlicher Faktor, wie die Positionsübung verläuft. Die Art und Weise, wie Nachfragen gestellt werden, kann suggestiv sein. Hier gilt es bewusst, offen und sensibel als Moderator*in zu agieren. Die Übung ist keine Team-Building Übung, die man zu Beginn einer Zusammenarbeit mit einer Gruppe von Menschen einsetzt. Zumindest, wenn es um sehr sensible Themen geht. Gefühle und Einstellungen, die im Rahmen der Übung hervorgebracht werden, sollten in der Gruppe und von der Moderation auch im Nachgang aufgefangen werden können. Bspw. indem nach der Übung noch Zeit zur gemeinsamen Reflexion bleibt, eine Kleingruppenübung Herausforderungen der Aufgabe bearbeitet etc. Die Teilnehmenden können durchaus mit gemischten Gefühlen aus der Übung gehen. Überforderung sollte vermieden werden. Die Methode setzt Vertrauen und Offenheit für ein gemeinsames Verständnis innerhalb einer Gruppe voraus. Dazu kann die Übung als Vorbereitung auf die Behandlung sensibler Themen zunächst mit spannungsfreien Themen ausprobiert werden.

Input: Dialoge führen statt Diskussionen abbrechen

  • Fokus: Dialog gleicht nicht einer Diskussion. In der Diskussion geht es i.d.R. um Macht und Stärke von Standpunkten: Es gibt Gewinner*innen und Verlierer*innen. Beim Dialog geht es um den gemeinsamen Fluss von Gedanken, die zu einem innergruppalen Gesamtverständnis veräußert werden. Dabei können divergierende Aussagen nebeneinander stehenbleiben. Sie sollten aber von allen nachvollzogen werden können. Gedankengänge zu Standpunkten werden entschleunigt und hergeleitet. Der Dialog nach diesem Verständnis wurde von zwei Menschen des 20. Jahrhunderts maßgeblich geprägt:
  1. Religionsphilosoph Martin Buber, *1878-1965, Hauptwerk zum Dialog: „Ich und Du“
  2. Physiker und Philosoph David Bohm, *1917-1992, Hauptwerk zum Dialog: „Der Dialog. Das offene Gespräch am Ende der Diskussion“

 

  • Fazit: Bei sensiblen Themen in heterogenen Gruppen kann dialogische Haltung und Methodik in der Moderation und Leitung helfen. Dialogisch arbeiten bedeutet

1. Haltung bewusst machen/verändern,

2. Methodik anwenden,

3. Aktion und Reflexion üben, üben, üben.

 

 

 

Austausch und Ausblick: Was hat das Ganze mit der Gemeinwesenarbeit zu tun?

  • Fotoprotokoll:

 

(*Gelbe quadratische Karte: „Ansatz, andere nicht überzeugen zu müssen! Genauer hinzuhören, woher Ansichten, Missstimmungen etc. kommen“.)

 

  • Fazit: Gesamtgesellschaftliche Herausforderungen müssen in Projekten und Programmen nicht gelöst werden. Dennoch sind die Themen da und verschwinden auch nicht, weil sie nicht verbalisiert werden dürfen. Dialog könnte ein Weg sein, um spannungsgeladene Klimata in Gruppen anders anzugehen. Im Dialog braucht es keine terminierten Antworten auf inhaltliche Divergenzen. Es kann vielmehr um eine entschleunigte Annäherung an sich selbst und seine Gegenüber gehen und eine intragruppale Nachvollziehbarkeit von vorherrschender Vielfalt. Dialog kann helfen eine gute Balance zu finden: Zwischen Perspektiven behalten, Perspektiven wechseln und auch Perspektiven aushalten.

 

 

Nachtrag: Welcher Basis und welchem Grundverständnis folgen andere Institutionen bezüglich politischer Bildung?

  • Der Beutelsbacher Konsens: Ist der „kleinste gemeinsame Nenner“, an den sich seit fast 50 Jahren alle großen politischen Bildungsinstitutionen, Projekte und Programme mit politischen Bildungsinhalten halten. Er umfasst drei zentrale Prinzipien in der politischen Bildungsarbeit:

    1. Überwältigungsverbot (keine Indoktrination)

    2. Was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muss auch im Unterricht kontrovers erscheinen.

    3. Der Schüler muss in die Lage versetzt werden, eine politische Situation und seine eigene Interessenlage zu analysieren.

 

Die Prinzipien sind 1976 auf einer Fachkonferenz der Baden-Württembergischen Landeszentrale für politische Bildung im schwäbischen Beutelsbach zusammengetragen worden. Hans-Georg Wehling verschriftlichte diese kurz darauf und die Prinzipien sind seither als Beutelsbacher Konsens bekannt und angewandt. (http://www.bpb.de/die-bpb/51310/beutelsbacher-konsens)