Ergebnisse der zweiten Fallstudie - Kooperation in Hasport
28. Juli 2016 / Moritz von Gliszczynski
Von November 2015 bis Mai 2016 fand im Quartier Hasport in Delmenhorst die zweite Fallstudie für das Forschungsprojekt „Gelingende Kooperationen im Sozialraum“ statt. Bei dieser Untersuchung stand eine lokale Bewohnerinitiative im Mittelpunkt, die zum Großteil durch ehrenamtliches Engagement getragen wird und ohne professionelle SozialarbeiterInnen oder dauerhafte Förderung seit circa 15 Jahren Quartiersarbeit betreibt. Insgesamt kontrastiert dieser Fall damit eindeutig mit Hainholz, dem Quartier der ersten Fallstudie, in dem durch das Programm Soziale Stadt sowohl langfristige Förderung als auch hauptamtliche, professionelle Quartiersarbeit in Form eines Quartiersmanagements präsent sind.
Die nun vorliegenden Ergebnisse zu Hasport zeigen nicht nur ein besonders interessantes Beispiel für Quartiersarbeit, sie lassen sich auch gut mit den Resultaten der ersten Fallstudie vergleichen. Durch den Kontrast zwischen den beiden sehr unterschiedlichen Fällen Hainholz und Hasport können erste Aussagen zu Mustern gelingender Kooperation getroffen werden, die sich auf andere Quartiere übertragen lassen: Mutmaßlich sind Faktoren, die in zwei sehr unterschiedlichen Fällen zum Gelingen von Kooperation beitragen so grundlegend, dass sie auch in anders gelagerten Fällen eine Rolle spielen.
Wie sehen das lokale Netzwerk und Strukturen der Kooperation nun in Hasport aus, für sich selbst genommen und im Vergleich zu Hainholz? Der folgende Beitrag enthält die wichtigsten Punkte einer längeren Analyse zum Fall Hasport, die in einem Bericht festgehalten ist.
Bei Hasport handelt es sich um ein Quartier am südlichen Stadtrand von Delmenhorst, in dessen Zentrum sich eine Großwohnanlage befindet, die in den 1960er und 1970er Jahren von der städtischen Wohnungsbaugesellschaft GSG errichtet wurde (in der Folge als Wohnanlage Helgolandstraße bezeichnet). Diese Wohnanlage kann als benachteiligter Sozialraum gelten, da in der Bewohnerschaft im Vergleich zum Rest des Quartiers und zur Gesamtstadt Arbeitslosigkeit, Bezug von Transferleistungen, niedriger Bildungsstand etc. konzentriert sind. In der Vergangenheit gab es auch Klagen über illegale Ablage von Müll und nachbarschaftliche Konflikte. In Reaktion auf diese Problemlagen gründete sich Ende der 1990er Jahre die Bewohnerinitiative Gemeinschaft Hasport (seit 2003 als eingetragener Verein organisiert), die für die Wohnanlage verschiedene Projekte und Veranstaltungen anbietet, so z.B. Hausaufgabenhilfe, Sprachkurse, eine Kleiderkammer und ein Sommerfest.
Durch die Vielzahl dieser Angebote ist die Gemeinschaft Hasport zentraler Akteur der Quartiersarbeit vor Ort, auch weil nur eine relativ schwache soziale Infrastruktur vorhanden ist: Ein Jugendtreff, eine Kita, eine evangelische Kirche und ein Sportverein befinden sich in nächster Nähe, zudem gibt es einen aktiven Ortsverein der SPD – die nächste Grundschule ist aber z.B. circa 20 Minuten Fußweg entfernt. Dementsprechend ist in Hasport im Vergleich zu Hainholz eine wesentlich kleinere Anzahl an Akteuren in der Quartiersarbeit aktiv. Das führt auf den ersten Blick zur Erwartung, dass die Akteure in Hasport besonders dicht vernetzt sind und sehr starke Beziehungen zueinander unterhalten, da sie aufgrund der schwächeren Infrastruktur stärker aufeinander angewiesen sind. Im Vergleich zu Hainholz bestätigt sich diese Erwartung allerdings nicht, wie die folgende grafische Darstellung des Netzwerkes illustriert.
Bei den Blau eingefärbten Akteuren handelt es sich um staatliche/ öffentliche Institutionen in Delmenhorst. Die orangen Ellipsen stehen für Gruppen von Akteuren aus einem bestimmten Bereich in ganz Delmenhorst (so z.B. alle Jugendhäuser). Nahezu alle Akteure aus Hasport haben Verbindungen über das Quartier hinaus.
Die Darstellung zeigt, dass alle im Quartier präsenten Akteure zahlreiche wichtige Kontakte im Rest der Stadt haben, im Vergleich zu einer beschränkten Anzahl von Kontakten vor Ort in Hasport. Diese Kontakte sorgen für notwendigen fachlichen Austausch und dienen als Kooperationspartner. Der Jugendtreff Hasport ist zum Beispiel in ein Netzwerk der Jugendhäuser in Delmenhorst mit regelmäßigen Arbeitstreffen eingebunden und nimmt über diese Kontakte auch an gemeinsamen Projekten und Veranstaltungen teil. Die Orientierung außerhalb des Quartiers ist für die lokalen Akteure durchaus sinnvoll. Aufgrund der schwachen sozialen Infrastruktur vor Ort mangelt es in Hasport selbst an Ressourcen und Partnern, die an anderen Orten in Delmenhorst gefunden werden.
Dennoch sind die lokalen Akteure natürlich auch untereinander vernetzt, allerdings in anderer Art und Weise als in Hainholz. In der ersten Fallstudie war ein dichtes Netzwerk aus Kontakten zwischen Einrichtungen in Hainholz festzustellen, die zum Großteil auf einer professionellen Beziehungsebene stattfinden und sich stark auf regelmäßige Gremien mir klarem Quartiers-Bezug konzentrieren. In Hasport fällt im Vergleich auf, dass solche lokalen Gremien nicht existieren. Daher finden Kontakte zwischen den lokalen Akteuren meist als Treffen zwischen zwei Einrichtungen statt, zu Treffen mehrerer Akteure mit Bezug auf Hasport kommt es nur selten. Außerdem – und das ist ein zentraler Unterschied – finden Kontakte in Hasport eher nicht auf einer professionellen Ebene statt, sondern auf einer persönlichen. Beim lokalen Netzwerk handelt es sich nicht unbedingt um ein Geflecht beruflicher Beziehungen zwischen professionellen Akteuren sondern um einen Zusammenhang oft langjähriger persönlicher Bekanntschaften. Daher finden Kontakte in Hasport auch kaum formell strukturiert und mit Regelmäßigkeit statt, sondern eher bei Gelegenheit, z.B. bei zufälligen Treffen auf Veranstaltungen oder bei konkreten Bedarfen einzelner Akteure. Insgesamt lässt sich festhalten, dass besonders die Gemeinschaft Hasport über die Vorsitzende des eingetragenen Vereins weitreichend und vielseitig in Hasport und Delmenhorst vernetzt ist. Auch die anderen lokalen Akteure verfügen zwar durch ihre Netzwerke über wichtige Kontakte in die Gesamtstadt hinein, mit Ausnahme des SPD-Ortsvereins sind diese aber weniger vielseitig, da eher auf das jeweils eigene Tätigkeitsfeld beschränkt.
Welche Auswirkungen haben diese Netzwerk-Strukturen auf Kooperation in Hasport? Entsprechend der Gestaltung des lokalen Netzwerkes findet auch Kooperation zumeist bei Gelegenheit und mit Beteiligung von zwei Akteuren statt, z.B. als Aushängen von Ankündigungen oder Unterstützung bei Veranstaltungen. Es gibt zwar einige jährliche Veranstaltungen, wie z.B. einen Flohmarkt der SPD, die aus Tradition gemeinsam von zwei Akteuren zusammen organisiert werden, langfristige, formalisierte Projekte unter Beteiligung mehrerer Akteure finden aber nicht statt. Dies kann wenigstens zum Teil auf das Fehlen gemeinsamer Gremien in Hasport zurückgeführt werden: In Hainholz fanden Vorbereitungen für größere Projekte in solchen gemeinsamen Gremien statt.
Das bedeutet aber nicht, dass der Fall Hasport im Vergleich mit Hainholz schlecht abschneidet, weil weniger kooperiert wird. Aufgrund der unterschiedlichen Ausgangsbedingungen treten in den beiden Quartieren unterschiedliche Herausforderungen auf, die jeweils durch unterschiedliche Netzwerk-Strukturen und Formen der Kooperation gelöst werden. Durch das Fehlen einer eigenen Förderkulisse wie Soziale Stadt müssen im Quartier Hasport die für Quartiersarbeit notwendigen Ressourcen selbst beschafft werden. Deshalb findet viel zum Beispiel viel Sponsoring statt, vor allem die Gemeinschaft Hasport fragt bestimmte Akteure seit geraumer Zeit immer wieder nach Unterstützung. Dadurch haben sich einige feste Sponsoring-Beziehungen entwickelt, die für den Fortbestand der Quartiersarbeit notwendig sind und in die viel Zeit und Aufwand investiert wird. Diese Zeit und dieser Aufwand fehlen sicher für die Organisation von Gremien und Projekten. Solche Aufgaben werden in Hainholz durch das Quartiersmanagement erfüllt, das Vernetzung und Kooperation als eine Haupttätigkeit betreibt, während die Akteure in Hasport Vernetzung als Nebenaufgabe zu ihren Kerngeschäften betreiben.
Insofern entsprechen die bei Gelegenheit stattfindenden Kooperationen, die in Hasport am häufigsten sind, am ehesten den Möglichkeiten und Bedürfnissen der Akteure vor Ort. Hinzu kommen noch die spezifischen Auswirkungen des Selbstverständnisses und der Legitimation der jeweils zentralen Akteure in den beiden Fallstudien. Wie erwähnt handelt es sich beim Quartiersmanagement in Hainholz um einen Akteur, der Vernetzung und Förderung Kooperation als seine Haupttätigkeit betreibt und über das Programm Soziale Stadt das gesamte Quartier als seinen Tätigkeitsbereich zugewiesen bekommen hat. Durch diesen Impuls zur Vernetzung des gesamten Quartiers werden in Hainholz große Projekte mit Beteiligung vieler Akteure besonders gefördert. Die Gemeinschaft Hasport arbeitet hingegen auf einer anderen Grundlage: Als Bewohnerinitiative hat sie sich zusammengefunden um sich um die Belange der Bewohner der Wohnanlage Helgolandstraße zu kümmern. Deshalb stehen andere Teile des Quartiers an zweiter Stelle. Da die anderen Akteure in Hasport aber Einzugsbereiche haben, die über die Wohnanlage hinaus reichen, sind Kooperationen mit ihnen für die Gemeinschaft Hasport nur eingeschränkt bedeutsam und werden nur gelegentlich verfolgt. Da die Belange der Bewohner für die Gemeinschaft Hasport hauptsächliches Interesse sind, setzt sie sich auch nicht gezielt dafür ein, Vernetzung und Kooperation im gesamten Quartier zu fördern – das eigene Netzwerk wird nicht zur Vermittlung zwischen anderen Akteuren genutzt, sondern zur Erfüllung der eigenen Kernaufgaben.
Abschließen lässt sich also feststellen, dass Hasport generell durch gelegentliche Kooperation zur Erfüllung spezifischer Zwecke geprägt ist, während in Hainholz besonders große Projekte auffallen, die sich an das ganze Quartier richten. Wie schon erwähnt erfüllen in beiden Quartieren die lokalen Akteure ihre Kernaufgaben unter unterschiedlichen Ausgangsbedingungen. Aufgrund dieser unterschiedlichen Ausgangsbedingungen und verschiedenen Kernaufgaben haben sich auch unterschiedliche Netzwerk-Strukturen und Formen der Kooperation gebildet. Diese Strukturen und Formen können deshalb im Vergleich nicht als „besser“ oder „schlechter“ gewertet werden, haben aber unterschiedliche Vor- und Nachteile. In Hasport sind durch das Fehlen fester Gremien und der Dominanz gelegentlicher Kooperation große formalisierte Projekte nur schwer möglich. Allerdings kümmert sich die Gemeinschaft Hasport durch ihren direkten Draht zu den Bewohnern schon seit 15 Jahren erfolgreich um die vielfältigen Problemlagen vieler Bewohner der Wohnanlage Helgolandstraße. Das beschriebene Niveau von Kooperation bei Gelegenheit ist dazu völlig ausreichend und wird zudem unter erschwerten Bedingungen, v.a. ohne feste Förderkulisse, geleistet. In Hainholz ist im Vergleich die Fähigkeit zur Organisation langfristiger und komplexer Großprojekte in Kooperation mit vielen Akteuren hervorzuheben, durch die Belange des ganzen Quartiers bedient werden. Mit diesen Projekten können aber nicht alle Bewohner erreicht werden. Vor allem der Kontakt zu Bewohnern mit Migrationshintergrund gelang nicht immer. Der Vergleich zwischen den beiden Quartieren zeigt somit, dass sowohl ein starkes soziales Netzwerk auf persönlicher Ebene – wie in Hasport – als auch starke formalisierte Strukturen und Gremien – wie in Hainholz – bestimmte Formen der Kooperation stark befördern können, die den jeweils lokal bedeutsamen Herausforderungen erfolgreich begegnen.