Von Kästen und Antennen...oder: Warum gelingt Kooperation?

12. April 2017 / Moritz von Gliszczynski

Für sozialwissenschaftliche Forschung ist es oft schwierig, Zusammenhänge gut zu belegen und die Ergebnisse einer Untersuchung dann auch so darzustellen, dass sie für eine breitere Öffentlichkeit verständlich sind. Vor diesem Problem steht auch das Forschungsprojekt „Gelingende Kooperationen im Sozialraum“ (GeKo) jetzt zum Ende der Projektlaufzeit. Die zentrale Forschungsfrage des Projektes war: Welche Bedingungen tragen dazu bei, dass Kooperation in der Stadtteilarbeit gelingt? – insofern ging es um einen recht klar abgrenzbaren ursächlichen Zusammenhang, der leicht darzustellen sein sollte.

Tatsächlich kamen in den ersten beiden Jahren des Projektes durch einen Fallvergleich zwischen drei Quartieren schon einige gute Antworten auf die genannte Frage zustande (hier, hier und hier nachzulesen). Das lag auch daran, dass mit einem Fallvergleich eine arbeitsintensive Methode gewählt wurde, die dazu geeignet ist, auch komplexe Zusammenhänge vertiefend zu analysieren und verständlich darzustellen. Ein wesentliches Problem dabei ist aber, dass die hohe Arbeitsintensität meist nur eine kleine Fallzahl zulässt. Deshalb ist oft nicht sicher, ob sich die Ergebnisse auch auf weitere Fälle (hier: Quartiere) übertragen lassen.

Um diesem Problem zu begegnen wurde für GeKo von Februar bis März eine standardisierte Umfrage zu den Ergebnissen des Fallvergleiches in zehn weiteren Quartieren durchgeführt und statistisch ausgewertet. Solche Auswertungen auf Grundlage größerer Fallzahlen sind anders als Fallvergleiche gut darin, die Übertragbarkeit von Ergebnissen auf weitere Fälle nahezulegen. Allerdings sind besonders die Ergebnisse von statistischen Auswertungen schwer verständlich zu machen, da eine richtige Deutung oft Fachwissen voraussetzt. In diesem Beitrag soll aus diesem Grund die schon genannte Forschungsfrage anhand der standardisierten Umfrage durch möglichst anschauliche Beispiele beantwortet werden – die Vermittlung statistischer Auswertungen ist immer schwierig, aber die hier gezeigten Grafiken können bestimmte Ergebnisse mit wenigen Erklärungen gut vermitteln.

Wie lässt sich also die Frage welche Bedingungen das Gelingen von Kooperation fördern durch statistische Auswertungen beantworten?

In der standardisierten Umfrage wurden zu diesem Zweck zwei Dinge abgefragt: Erstens, wie häufig Kooperation bei den Befragten in den letzten drei Jahren gelungen ist, zweitens, wie häufig sie in dieser Zeit die folgenden Dinge getan haben:

  1. Zeit und/ oder Ressourcen für Kooperation beschafft
  2. Persönliche Beziehungen für Kooperation genutzt
  3. Regelmäßige mit Kooperationspartnern kommuniziert
  4. Feste Kommunikationsstrukturen wie z.B. Gremien oder Arbeitskreise für Kooperation genutzt
  5. Wissen über das lokale Netzwerk gesammelt
  6. Zusammen mit Kooperationspartnern gemeinsame Ziele ausgehandelt
  7. Eine eindeutige Arbeitsteilung mit Kooperationspartnern vereinbart

Dabei handelt es sich um Bedingungen, die anhand des Fallvergleiches als förderlich für Kooperation identifiziert wurden, ohne allerdings belegen zu können, dass dies auf weitere Quartiere übertragbar ist (s.o.). Durch eine statistische Überprüfung des Zusammenhangs zwischen den beiden Häufigkeiten – Gelingen und Vorliegen der Bedingungen – ließe sich eine Übertragbarkeit aber wenigstens nahe legen. Falls bei den Befragten Kooperation umso häufiger gelingt, desto häufiger die genannten Bedingungen vorliegen, kann ihre Wirkung als statistisch belegt gelten. Für die Überprüfung eines solchen Zusammenhangs bietet sich das Verfahren der Varianzanalyse an, dessen Ergebnisse mit Hilfe eines „Boxplot“ grafisch dargestellt werden kann.

Die Varianzanalyse ist ein auch in der Medizin und Psychologie gängiges Verfahren. Sie ermöglicht es, durch eine unabhängige Variable verschiedene Gruppen zu unterscheiden – z.B. Patienten die mit verschiedenen Medikamenten behandelt wurden – und zwischen diesen Gruppen als abhängige Variable die Ausprägung eines bestimmten Merkmals – z.B. den Grad der Gesundung – zu vergleichen. Dabei wird genauer untersucht, ob sich die Mittelwerte bei der abhängigen Variablen zwischen diesen Gruppen statistisch signifikant unterscheiden, d.h. ob es eine Wirkung der unabhängigen Variablen gibt, die mehr als nur zufällig ist. Um im Beispiel zu bleiben: Falls der Mittelwert beim Grad der Gesundung bei einer Patientengruppe deutlich höher ist und dies statistisch signifikant ist, kann man davon ausgehen, dass das betreffende Medikament wahrscheinlich besser wirkt als die anderen.

So wurde auch im vorliegenden Fall verfahren. Dazu mussten die Daten aber etwas bearbeitet werden. Die einzelnen Variablen zu den oben genannten Bedingungen wurden zu einem „Gesamtindex Bedingungen“ zusammen gefasst, der angibt wie häufig alle Bedingungen zusammen genommen durch die Befragten geschaffen wurden. Dieser Gesamtindex wurde dann in drei Stufen eingeteilt: hoch, mittel und niedrig. Damit sind die drei Gruppen geschaffen, zwischen denen die Mittelwerte verglichen werden können. Falls der Mittelwert für die Häufigkeit des Gelingens von Kooperation in der Gruppe „hoch“ signifikant höher ist als in den anderen beiden, kann davon gesprochen werden, dass die Bedingungen das Gelingen von Kooperation tatsächlich fördern.

Dieser Nachweis lässt sich tatsächlich erbringen, wie die folgende Tabelle zeigt.

Variable

Sum Sq

Df

F value

Pr(>F)

Signifikanz

Variable 6i

66.611

3

70.117

0.003601

** (0.01)

Variable 5e

39.541

2

62.433

0.010648

* (0.05)

Variable 2

0.0576

1

0.1820

0.675710

 

Variable 3

31.034

4

24.500

0.091281

.

Variable 4

10.948

3

11.524

0.360332

 

Variable 1

47.029

7

21.216

0.104886

 

 

 

 

 

 

 

 

An dieser Stelle interessieren nur die letzte Spalte und die erste Zeile für Variable 6i, die den Gesamtindex der Bedingungen abbildet. Die beiden Sterne in der Spalte zu Signifikanz bedeuten, dass der Zusammenhang zwischen diesem Index und der Häufigkeit des Gelingens von Kooperation hochgradig signifikant ist und damit sehr wahrscheinlich mehr als zufällig ist. Das gibt allerdings nicht an, in welchem Ausmaß sich die Mittelwerte zwischen den Gruppen unterscheiden, also wie stark die Wirkung der Bedingungen wirklich ist.

Um hier einen Eindruck zu gewinnen kann ein „Boxplot“ hinzugezogen werden. Diese Art von Grafik kann genutzt werden, um nebeneinander darzustellen, wie sich die Werte bei den verschiedenen Gruppen aus der Varianzanalyse für die abhängige Variable (hier Gelingen v. Kooperation) verteilen. Der Boxplot unten stellt den Zusammenhang zwischen dem Gesamtindex für Bedingungen (horizontale X-Achse) und der Häufigkeit des Gelingens dar (vertikale Y-Achse; hier dargestellt als Skala von 1 = nie bis 6 = sehr häufig). Auf der Horizontalen sind die drei Gruppen zu sehen, die für den Gesamtindex definiert wurden. Die nicht gekennzeichnete Spalte ganz links bildet Fälle ab, für die aufgrund fehlender Werte kein Gesamtindex gebildet werden konnte und soll hier nicht näher diskutiert werden.

Aber was genau wird durch die „Kästen“, ihre „Antennen“ sowie die Punkte und Linien eigentlich dargestellt? Wie erwähnt zeigen Boxplots, wie genau sich die Werte auf einer bestimmten Variablen für eine Gruppe verteilen. Dabei stellen die leeren „Kästen“ dar, in welchem Bereich sich der Großteil der Werte (50% der Fälle) befindet. Die oben und unten am Kasten ansetzenden „Antennen“ zeigen, wo möglich, den Bereich an, in dem sich der Rest der Werte verteilt (also jeweils circa 25% für jede „Antenne“). Die dicke schwarze Linie zeigt, wo der „Median“ der Verteilung liegt. Dieser Wert ist die Schwelle, der die Verteilung genau in zwei Hälften teilt; es liegen also jeweils genau 50% der Fälle über bzw. unter diesem Wert. Die bei der Gruppe „hoch“ zu sehenden Punkte stellen „Ausreißer“ dar, also Fälle die sehr weit außerhalb des Bereiches liegen, in dem sich der Rest der Werte befindet.

Wie lassen sich diese Kästen und Antennen dann interpretieren? Für den vorliegenden Fall gilt einfach gesagt: Desto höher in der Grafik der Kasten und/oder der schwarze Strich liegen, desto häufiger gelingt in der betreffenden Gruppe Kooperation. Falls die genannten Bedingungen den erwarteten Einfluss auf das Gelingen von Kooperation haben, sollten Kasten und Strich in der Gruppe „hoch“ höher liegen als in der Gruppe „mittel“, die wiederum höher liegen sollte als die Gruppe „niedrig“. Genau das lässt sich im gezeigten Boxplot auch feststellen. Im Zusammenhang mit der Tabelle oben kann also ausgesagt werden, das die im Index gebündelten Bedingungen das Gelingen von Kooperation statistisch signifikant fördern.

Der Boxplot weist aber darauf hin, dass der Zusammenhang eher von mittlerer Stärke ist. Zwar konzentrieren sich die Werte in der Gruppe „hoch“ klar im oberen Bereich der Verteilung – die Position der schwarzen Linie bedeutet, dass sich 50% der Fälle hier auf der Skala für die Häufigkeit von Gelingen mindestens bei „5“ einordnen. Die Werte in der Gruppe „mittel“ befinden sich aber nach Position des Kastens und der Linie auch zum Großteil zwischen „4“ und „5“ auf dieser Skala. Die Gruppe „niedrig“ liegt zwar in der Tat deutlich unter der Gruppe „hoch“, dennoch wären bei einer sehr starken Wirkung der Bedingungen größere Abstände zwischen den Kästen bei den verschiedenen Gruppen zu erwarten gewesen. Das kann aber bedeuten, dass noch andere Variablen außer den Bedingungen eine Wirkung auf das Gelingen von Kooperation haben. Welche Variablen das sind und wie ihre Wirkung im Verhältnis zu der Wirkung der Bedingungen zu beurteilen ist, ist im Bericht zur Umfrage nachzulesen. Daraus ergeben sich auch noch einige Veränderungen an der Liste mit Bedingungen für gelingende Kooperation, die an dieser Stelle in Kürze vorgestellt werden.